Heiße EU-Wahl-Diskussionen

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Liebe Leserinnen und Leser!

In zahlreichen Diskussionen und auch in Leserbriefen habe ich zum Thema EU bzw. zur kommenden Wahl des EU-Parlamentes immer wieder festgestellt, dass viele unrichtige Argumente gegen die EU unkritisch weitertransportiert werden.
Es ist notwendig, sich in Sachen EU mit Fakten auseinanderzusetzen, weil nicht alles, was Medien verbreiten, auch der Wirklichkeit entspricht. Wer zB die EU-Berichterstattung der Kronenzeitung ständig unkritisch liest, kann vermutlich die politische Wirklichkeit nicht mehr verstehen, weil die KZ die EU als „EU-Theater“ zum Feindbild erkoren hat. Die KZ hat bei um die 40 Prozent Leseranteil in Österreich zwar eine weltweit einzigartig marktbeherrschende Stellung auf dem nationalen Zeitungsmarkt, sie hat aber keinen einzigen Korrespondenten in Brüssel, um ihre Leserschar kritisch und doch objektiv informieren zu können. Aber auf Europa-Ebene ist die KZ ein Zeitungszwerg. Daher setzt die KZ auf Nationalismus pur!

Die Europäische Union hat in ihrer 60-jährigen Entwicklungsgeschichte einen mühevollen Weg zurückgelegt, um den demokratischen Aufbau etappenweise zu verbessern. Der Vertrag von Lissabon 2007 hat dem Europäischen Parlament ein gleichberechtigtes Mitentscheidungsrecht gegenüber der Europäischen Kommission gegeben, von welchem es seither auch Gebrauch macht: zB wurde die oft angesprochene Saatgutverordnung vom EU-Parlament abgelehnt, die Bankenregulierung wurde mit einem von diesen zu speisenden Abwicklungsfonds zum Schutz der Steuerzahler auf Schiene gebracht, welcher leider für die Hypo AA zu spät kommt.

Zur Hypo Alpe-Adria: Dass die Schuld für die unverantwortlich verlustreichen Geschäfte bei den Bankverantwortlichen inklusive Aufsichtsrat zu suchen ist, steht auch für mich außer Zweifel. Dass aber das Land Kärnten unter verantwortlicher Führung von LH Haider „Opfer“ der kriminellen Finanzwelt geworden sei, halte ich für eine Verniedlichung von politischer Verantwortung, welche EU-Politikern so wohl nicht entgegengebracht würde. Der Vorstand und Aufsichtsrat der Bank wurde vom Bundesland Kärnten entscheidend besetzt und die Milliarden an Haftungen von Kärnten übernommen. Die EU trifft an der HAA jedenfalls keine Schuld, sie bleibt ein österreichisches Problem.

Zurück zur EU: Dass „Normalbürger mit hirnverbrannten EU-Verordnungen schikaniert werden“ ist jedenfalls zu relativieren, die berühmte Gurkenkrümmungsverordnungen ist längst wieder außer Kraft und eine solche gab es in Österreich schon vor dem EU-Beitritt auf Wunsch der österreichischen Wirtschaft. Die Europäische Kommission setzte die Verordnung 2009 außer Kraft, obwohl sich eine Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten sowie Handels- und Bauernverbände für eine Beibehaltung aussprachen. Die wichtigsten Großhändler verwenden die Vorgabe weiterhin als interne Norm. EU-Verordnungen entstehen bekanntlich auf Initiativen von Mitgliedsländern, wenn sie Probleme nicht eigenständig lösen können oder wollen. Die Glühbirne stand technisch für Energievergeudung, Energiesparlampen sparen Strom und damit CO². Umweltgerechte Entsorgung ist jedenfalls zumutbar, aber ich halte diese Lampe ohnehin für ein vorübergehendes Entwicklungsproblem und wird durch LED-Technik abgelöst.

Sowohl das Auslagern von Arbeitsplätzen von Europa nach Asien gab es in Österreich und anderen europäischen Ländern schon vor dem EU-Beitritt, genauso die Steuermaximierung der international tätigen Wirtschaft. Die Ausweitung dieser Möglichkeit wie auch die nun erfolgte Einschränkung der bilanziellen „Gewinnverschiebungen“ fiel und fällt in die alleinige Entscheidung der österreichischen Politik. Auch die fetten Gagen und Privilegien in Wirtschaft und Politik sind nicht Folge der EU, die gab es im Monopolstaat Österreich schon vor dem EU-Betritt und wurden zB durch deutlich überhöhte Strom-, Telefon- oder Versicherungspreise finanziert. Es war die EU, welche diese Monopole zu Fall gebracht hat, weil die EU marktbeherrschende Firmen bis hin zur Zerschlagung in die Schranken weist. Auch internationale Konzerne – zB Microsoft, Stahl- oder Handelsfirmen – haben schon hunderte Millionen Euro an Strafen wegen Wettbewerbsvergehen und Preisabsprachen in Europa bezahlt.

Auch marktverzerrende Subventionen bekämpft die EU, was nun den Ausbau von Temelin und einem englischen Atommeiler verhindert, weil die Stützung des produzierten Atomstroms durch nationales Steuergeld aus Wettbewerbsgründen untersagt wurde. Ohne EU wäre der Ausbau längst in Gang.

Der Schuldenberg und das strukturelle Defizit sind in den letzten 20 Jahren nicht in allen EU-Staaten so angewachsen wie in Österreich, es gibt bessere, aber auch schlechtere Staaten, weil Schuldenberge der Innenpolitik anzulasten ist. Dass angeblich jährlich Milliarden in Brüssel versickern und die Politik schweigt, muss auch relativiert werden: EU-Finanzierungen müssen in der Regel mit nationalen Förderungen kombiniert werden und die Überprüfung der Verwendung fällt in erster Linie in die Kompetenz der Nationalstaaten, um eben die EU-Bürokratie einzuschränken. Die ganze EU hat etwa so viele Bedienstete wie die Stadt Wien.
Dass es Lobbyisten gibt, ist kein Geheimnis und grundsätzlich nicht verboten. Die gibt es auf Orts-, Landes-, Bundes- und EU-Ebene. Alle Organisationen haben Büros in Wien, aber auch in Brüssel. „Geschenkte Anerkennungen“ aus der Wirtschaft wurden aber nicht in der EU erfunden, das hat in Österreich schon immer gut funktioniert und wird nunmehr scharf wie nie zuvor auf allen Ebenen bekämpft. Hoffentlich mit zunehmendem Erfolg.

Aus der Geschichte Europas sollten wir gelernt haben:
Jahrhunderte lang haben die Nationalstaaten aufeinander geschossen und die schlimmsten Kriege weltweit verursacht. Der in den 1950er Jahren entstandene Plan, durch Vergemeinschaftung der kriegsnotwendigen Eisen- und Stahlindustrie den Friedensweg für den Kontinent nachhaltig zu beschreiten und in der Folge auszuweiten, hat den EU-Staaten eine noch nie so lange währende Friedensepoche und einen noch die dagewesenen Wohlstand gebracht: Mit nur 7% der Weltbevölkerung erwirtschaften wir 25% der Wirtschaftsleistung und erbringen 50 % der weltweiten Sozialleistungen – teilweise leider auch in Form eines Schuldenberges erkauft. Aber genau für diesen Sozialbereich hat die EU keine Kompetenz, diese liegt nach wie vor ausschließlich bei den Nationalstaaten. Und nur die EU samt Europäischer Zentralbank zwingt zumindest die Euro-Staaten, die Verschuldung auf 60 % des BIP zu verringern und das jährliche Defizit unter 3% zu halten. Hätte sich Österreich das ohne EU auch zum Ziel gesetzt.
Die Mitgliedschaft in der EU kostet Österreich gerade einmal 1 % der Wirtschaftsleistung, 80 % der Gelder fließen aber nach Österreich zurück. Und 6 % EU-Verwaltungsaufwand wäre ein toller Zielwert für die österreichische Verwaltung.
Österreich hat seit dem EU-Beitritt Exporterfolge wie nie zuvor, 60 % unseres Wohlstandes werden im EU-Raum erwirtschaftet. Die Schwankungen der Arbeitslosenrate haben sich nicht erhöht, niemals zuvor hatten so viele Menschen Arbeit in Österreich, aber die Wirtschaft spürt den Facharbeitermangel zunehmend.

Die importierte Kriminalität werden die Nationalstaaten wohl nicht alleine lösen können, dazu bedarf es internationaler Zusammenarbeit, welche die EU koordiniert. Die Grenzen dicht machen, wird auch nicht die Lösung sein können, dazu müssten wir Polizei und Bundesheer extrem aufrüsten und dazu die Zahl der Wehrwilligen enorm steigern.

Mein persönliches Fazit: Natürlich bin ich ein überzeugter Europäer – schon aus der Geschichte heraus! Die europäischen Entwicklungen sehe ich auch kritisch, versuche aber Vor- und Nachteile durch Sammeln von möglichst objektiven Informationen abzuwägen. Unser Wohlstand ist nicht Gott-gegeben, er wird sich danach entwickeln, wie wir im Wettbewerb der Wirtschaftsräume Amerika – Europa – Asien bestehen können. Österreich allein wird jedenfalls diesen Wettbewerb nicht erfolgreich bestehen können.
Europa muss gemeinsam das Wohlstandsgefälle innerhalb und am Rande Europas verringern, sonst werden wir die Flüchtlingsströme nicht aufhalten können. Oder soll ein Zaun um Österreich oder Europa herum errichtet werden? Und ist die gewonnene Reisefreiheit samt gemeinsamer Währung auch nichts wert?
Bei der Wahl zum EU-Parlament gibt es genug Auswahlmöglichkeiten, die Palette der Wahlwerber reicht von der kritischen Mitgestaltung bis zu Austrittsbestrebungen. Mündige BürgerInnen sind zur Wahl-Entscheidung aufgerufen und für die Teilnahme möchte ich an Hand von Argumenten Werbung machen, weil ich auch dies als eine meiner Aufgaben als Bürgermeister empfinde. Wer nicht wählt, dem ist leider ohnehin alles recht.

Bgm. Herbert Kumpfmüller

Jede Meinung ist mir wichtig: h.kumpfmueller@eduhi.at

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Verfasst am: 13.05.2014
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