Der Mantel des heiligen Josef

Eine Weihnachtsgeschichte

Der Mantel des heiligen Josef

Papa, du, der kleine Moses zupft seinen Vater am Ärmel. Was ist?, brummt er zurück, während er mit dem Schnitzmesser das weiche Holz bearbeitet. André Albacanos ist Kunstschnitzer und in den Augen seines Sohnes der beste in der ganzen Umgebung, doch die Geschäfte gehen schlecht.

Niemand hat mehr Geld, um seine Holzkunstwerke zu kaufen. Früher verkaufte er seine kunstvoll geschnitzten Heiligenfiguren den Reisenden, die in die Stadt kamen. Aber seit das neue Einkaufszentrum fertig gestellt ist, verirrt sich keiner mehr in seinen Laden. André schüttelte seine trüben Gedanken ab und wandte sich seinem Sohn zu. Moses war fünf Jahre alt und sein ganzer Stolz. Er schaute in die Augen des Kindes, die für ihn heller leuchteten als die heiße Sonne. Moses stand vor ihm und zappelte herum, wie immer, wenn er einen großen Wunsch hatte.

„Was verbrennt denn dein kleines Herz?“ André legte sein Werkzeug weg und nahm seinen Sohn auf den Schoß. „Du, Papa, du hast doch gestern so einen tollen, teuren Stoff aus der Stadt mitgebracht!“ In der Tat hatte André gestern sein letztes Geld zusammengerafft und ein Stück Samtstoff gekauft. „Ja, aber der ist für den heiligen Josef“, und er zeigte auf die halbfertige Statue, an der er gerade arbeitete. Nach langem hatte er endlich wieder einen Auftrag bekommen. Er sollte eine Weihnachtskrippe schnitzen.

„Papa, bitte darf ich davon so ein Stück haben? Es ist ganz wichtig, wirklich“, bettelte Moses und malte mit seinen kleinen Fingern ein Quadrat in die Luft in der Größe eines Briefbogens. „Weißt du, wie teuer dieses Stück Stoff war? Das wird der Mantel für
einen Heiligen. Das ist nichts zum Spielen“, erwiderte André. „Ich brauche das auch für etwas ganz Wertvolles, etwas ganz Heiliges. Ehrenwort, Papa“, drängelte Moses. André schaute seinen Sohn an, sah das sehnsüchtige Flehen in den Augen und gab nach. Er holte den samtroten, mit Goldfäden verzierten Stoff heraus. „Wow, ist der schön“, hauchte sein Sohn mit einem überirdischen Lächeln auf dem Gesicht.

Vorsichtig schnitt André ein Stück aus dem Mantelstoff und gab es seinem Sohn. „Hier, nimm es und setz es sinnvoll ein, versprochen?“
„Versprochen“, platzte es aus Moses heraus. Er nahm das Stoffstück und trug es wie eine Trophäe aus der Werkstatt hinaus. André blieb allein zurück, nahm sein Werkzeug wieder in die Hand und setzte seine Arbeit an der Krippenfigur fort. „Tja, lieber Josef, jetzt bekommst du einen kleineren Mantel. Deinen habe ich wie der heilige Martin teilen müssen. Ich hoffe, das stört dich nicht.“ Lächelnd setzte er seine Arbeit fort.

André hatte nichts mehr von dem Stoff gesehen und immer, wenn er seinen Sohn danach fragte, sagte dieser: „Geduld, Papa, du wirst schon sehen!“

Dann kam das Weihnachtsfest. Zusammen mit seinem Sohn besuchte André den Gottesdienst in der Kirche. Hier stand nun seine nagelneue Krippe. Ein Schmuckstück, wie der Priester bei seiner Ansprache sagte. Und niemand merkte, dass am Mantel des heiligen Josef einige Zentimeter Stoff fehlten. Zu Hause angekommen, hielt es Moses nicht mehr aus. Er flitzte in sein Zimmer. Als er herauskam, hatte er eine alte Zigarrenkiste in der Hand, die er freudestrahlend seinem Papa entgegenstreckte. „Da, Papa, für dich. Frohe Weihnachten.“ André nahm die alte Zigarrenkiste entgegen und betrachtete sie von allen Seiten. „Aufmachen“, drängelte sein Kleiner. Er öffnete sie erwartungsvoll.

Die Kiste war mit dem roten Heiligenstoff ausgelegt. Aber sonst war nichts drin. „Was soll das?“, fragte André verwirrt. „Da ist ja gar nichts drin! Und dafür hast du den wertvollen Stoff vergeudet?“ Jetzt wurde er ärgerlich. Was hätte man aus dem Stoff machen können: ein Figürchen, eine Decke. Aber sie einfach in eine olle Zigarrenkiste kleben? Nein, das war für ihn Verschwendung.

Ärgerlich sah er seinen Sohn an, der plötzlich in Tränen ausbrach. „Aber, Papa, siehst du denn nicht?“, schluchzte er. „Was soll ich sehen? Die Kiste ist leer.“ André schüttelte den Kopf. „Ist sie nicht“, antwortete Moses tieftraurig, „Da habe ich tausend Küsse von mir reingetan.“ Heulend rannte er aus dem Zimmer. Wie vom Schlag getroffen stand André da. Jetzt schossen ihm die Tränen in die Augen. Schnell lief er seinem Sohn nach, umarmte ihn, drückte ihn fest an sich. „Entschuldige, Moses. Natürlich sehe ich deine Küsse. Das war nur das schummrige Licht. Das ist das allerschönste Geschenk, das ich jemals erhalten habe.“ „Ehrlich?“, fragte Moses misstrauisch. „Ganz ehrlich“, antwortete sein Vater und küsste und herzte ihn. Das war das allerschönste Weihnachtsfest, das André je erlebte.

Der Autor der Geschichte, Jürgen Welzel, ist Leiter der Öffentlichkeitsabeit der Steyler Bank. Diese unterstützt die Hilfsprojekte des Ordens der Steyler Missionare.

Quelle: krichenzeitung.at

Profilbild von Pfarre Lembach
Pfarre Lembach Josef REINTHALER Religion
Verfasst am: 24.12.2005
Zugriffe: 109